Kultur ist, wenn man mehr als das Nötige tut.
Ein guter Koch tut mehr als das Nötige.
Ein guter Gastgeber tut mehr als das Nötige.
Ein guter Vater tut mehr als das Nötige.
Man kann überall einsparen, der Rest hat dann aber keine Kultur mehr. Denken Sie an den Chinesischen Turm in München! Man könnte hergehen und sagen: „Der Turm ist aus Holz. Holz modert, brennt und bricht. Den bauen wir ab und stellen noch mehr Bierbänke auf.“
Dann sagt man: „Der Schotter am Boden ist schlecht zu pflegen. Wir asphaltieren die Fläche, dann kann man abends mit der Kehrmaschine darüberfahren.“
Dann sagt man: „Blasmusik? Das geht auch vom Tonband. Wir sparen die Kapelle ein und die Maß wird dafür billiger.“
Dann sagt man: „Die Kastanien brauchen Pflege; man kann auch mit Brauereisonnenschirmen für Schatten sorgen.“
Dann sagt man: „Die Schankgebäude müssen nicht mit Kupferblech gedeckt sein. Man kann auch Betondachsteine nehmen.“
„Und die Außenwände?“- „Da nehmen wir Sandwichplatten, die gibt es in der gleichen grünen Farbe.“
Dann sagt man: „Die Krüge machen wir aus Plastik; das spart Gewicht und die Gäste tragen leichter“.
Dann hat man wohl gespart und das Nötige getan. Aber dann kommt auch keiner mehr und kein Reiseführer wird über Münchner Biergärten berichten.
Kultur das ist für mich ein guter Italiener. In München gibt es hunderte italienische Restaurants ohne Michelin-Stern. Aber jeder weiß, dort bekommt der Gast: Eine Stoffserviette, eine Kerze, einen guten Hauswein, einen gemischten Vorspeisenteller, Nudelgerichte „al dente“, zartes Rind- und Schweinefleisch, eine Auswahl an Fischgerichten, zur Saison Muscheln und danach ein Dessert mit einem kräftigen Tässchen Kaffee. Und mehr muss man eigentlich gar nicht übers Essen reden.
Architektur, das sei für mich ein guter Italiener. Kein Sternekoch, keine Stars am Herd, keine Gags, sondern einfach nur eine gute Küche. Rezepte an denen man sich nie übersättigt wie Insalata Caprese, Carpaccio, Vitello Tonnato, Oktopussalat, Linguine, Penne, Spaghetti, Lasagne, Saltimbocca, Scampi alla Griglia, Pizza Regina, Panna Cotta, Tiramisu… Tausendmal gegessen – immer wieder gut. Und ja, Architektur ist für mich Rezeptkunst. Ich erachte es nicht als Zufall, dass die ältesten Bücher über Architektur aus Italien kommen.
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Zuerst veröffentlicht auf Facebook am 3.1.2021