Auf ntv läuft eine Sendung über „Die schönsten Häuser der Welt“. Wunderbar – endlich etwas Sendezeit für Architektur! Verständlich, dass dort die spektakulärsten Wohnhäuser in unsere Stuben gebracht werden. Wir blicken auf Grundstücke in traumhafter Landschaft, die Nachbarn sitzen weit weg. Es sind die Aufträge von denen alle Baumeister träumen: hohes Budget und mit heutigen Mitteln fast grenzenlose Kreativität. So eine Architektur kommt ganz ohne den Bezug zur Stadt aus. Sie liegt möglichst im Außenbereich vor einer spektakulären Landschaft. Es sind Jachten auf Trockendeck. Wunderschön und traumhaft für alle Aufsteiger: Sie sind weiß, sie sind horizontal, sie haben fünf Badezimmer und sie liegen in fotogener Landschaft. Natürlich nehme ich solche Aufträge auch gerne an, so sie mir angeboten werden. Es sollte dem Architekt oder der Architektin als Bürger aber klar sein: Damit kann man keine Stadt bauen. Es ist nämlich keine urbane Architektur, wenn man Entwürfe auf Grundstücke mit 5’000 Quadratmetern Land setzt. Stellen wir uns vor, die Objekte der Sendung lägen in einer Siedlung mit 500-Quadratmeter-Parzellen: Sie könnten nicht wirken, denn solche herrlichen Ideen brauchen Platz, viel Platz.

Diese Entwürfe sind Soli, gespielt von tollen Musikern. Beim Musiksolo gilt aber die Regel: „Es kann nur einen geben.“ Nebenan in Hörweite kann nicht ein Kollege sein Stück aufführen. Zusammen kann man Musik nur vortragen, wenn die Musiker eine Kapelle, eine Band oder ein Orchester bilden. Ansonsten ist eine Kakophonie unvermeidlich.

Städtische Architektur ist für mich eine gute Big Band. Alle spielen zusammen jeder sein Instrument. Es gibt ein paar Grundstücke und Bauaufgaben, die einen Solopart vertragen. Das sind Museen, Opern oder Monumente, wenn aber in jeder Straße an jedem Hauseck einer sein Solo fiedelt – wer will das hören? In einem guten Rock-Song ist auch nicht ständig Gitarrensolo. Ich erinnere mich: Ein Schulfreund spielte Schlagzeug. Er übte viel an seinem einen Solo und wollte es aufführen. Einmal sagte ihm aber sein Lehrer: „Spar dir das! Einen guten Drummer hört der Kenner auch ohne Solo heraus.“

Und daran hakt es im Moment: Die begabten und tüchtigen Architekten stürzen sich auf ihre Solo-Architektur, um ihr Können zu zeigen und so das kleine bisschen Aufmerksamkeit zu erhaschen, das Architektur in der momentanen Mediengesellschaft erringt. Der Rest der Bauaufgaben wird der Belanglosigkeit anheim gegeben. Wir sehen Star-Architektur und eine Flut an Gebäuden ohne Kulturanspruch. Wären wir Architekten für einen Tag Musiker, wären wir alle Solisten – die einen Könner, die anderen Möchtegern. Und das sehe ich als Herausforderung: Wir haben keine Orchestermusiker, die an einer Gesamtkomposition mitwirken und nur an einem schönen Platz mal ein Solo raus hauen. Dieses Problem bildet einen Regelkreis: Berühmte Architekten haben ihre Entwürfe darauf ausgelegt, Aufmerksamkeit um jeden Preis zu erzielen. Nur so haben sie derzeit eine hauchdünne Chance, überhaupt wahrgenommen zu werden. Die Mehrheit der Menschen sieht aber nur die Mehrheit der Schrottgebäude und verliert das Interesse an guter Architektur. Also müssen die Stararchitekten beim nächsten Zug über Los noch mehr ins Extreme gehen. Damit haben wir eine Abwärtsspirale in Gang gebracht, die sich seit mehreren Jahrzehnten dreht. Was würde etwa in der Restaurant-Szene passieren, wenn wir nur noch Sterne-Köche hätten? Stellen wir uns vor, in Deutschland gäbe es nur fünf super Restaurants mit Star-Köchen in fünf Großstädten. Die anderen Restaurants wären aber alle schräge Kaschemmen mit lauen Gerichten und schalen Getränken – die Mehrheit der Bevölkerung würde doch recht bald das Interesse an der Gastronomie verlieren und nicht einsehen, warum man für einen Besuch auch 200 Euro ausgeben kann.

Wenn aber auf allen Fernsehkanälen gekocht wird, bekommt das Publikum Appetit auf etwas Gescheites. Und daran verdienen dann auch die fünf Spitzenrestaurants, weil ihre Tische über Wochen hin reserviert sind. Das Publikum hat mehr Ahnung und muss nicht mit irrer Showküche angeködert werden. Daran gewinnt die ganze Gesellschaft und so wäre es auch bei guter Architektur. Das Publikum erkennt den guten Drummer dann nämlich auch ohne sein Solo.

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Zuerst veröffentlicht auf Facebook am 9.1.2021