Die letzten Wochen ist in Deutschland eine Debatte über Einfamilienhäuser entbrannt. Dabei fiel zunächst auf, dass einige den Begriff Einfamilienhaus mit Eigenheim gleichsetzen. Das stimmt natürlich nicht, denn jede Art der Wohnung kann ein Eigenheim werden. Anders herum kann auch in einem Einfamilienhaus zur Miete gewohnt werden. Es geht zunächst um die Bitte anzuerkennen, dass ein Spektrum besteht zwischen Megawohnblock und Vorstadtbungalow.

Hier ein paar wenige Betrachtungen:

1. Grundsätzlich ist das Streben nach einem Eigenheim zu fördern. In einem Land, in dem jede zweite Rente unter 900 Euro ausfällt, ist das Eigenheim die vielleicht beste Art der Altersvorsorge. Dafür kommen allgemein Etagenwohnungen, Maisonetten, Reihenhäuser, Kettenhäuser, Doppelhaushälften und Einfamilienhäuser in Frage. Und wenn es ein Einfamilienhaus sein soll, so gibt es auch dafür einen Gebrauchtmarkt. Es muss also nicht notwendig der Neubau sein. Was die Wohneigentumsquote betrifft, ist Deutschland übrigens Schlusslicht in Europa.

2. Wir haben hierzulande bereits einen Bestand von 16 Millionen Einfamilienhäusern. Würden in diesen, wie vorgesehen, je vier Einwohner leben, hätten darin bereits 64 Millionen Menschen Platz. Das ist offensichtlich nicht der Fall, denn die Häuser sind nicht dort wo die Jobs sind, die Kinder ziehen aus, Ehen gehen in die Brüche oder Partner verwitwen. Es ist eine traurige Zahl, aber sie gehört zur Wahrheit: Ein Drittel aller über 65-jährigen in Deutschland lebt alleinstehend, unter den Frauen ist es gar die Hälfte. Wer dann in der Altersvorsorge namens Einfamilienhaus leben möchte, lebt dort vielleicht allein und mit hohen Betriebskosten. Oder die Altersvorsorge muss veräußert werden; dabei steht man in Konkurrenz zu anderen, die ebenfalls verkaufswillig sind.

3. Jedes Jahr kommen in Deutschland 140’000 Einfamilienhäuser hinzu. Nehmen wir an, jedes von ihnen steht auf 500 Quadratmetern Grund, so sind das 70 Millionen Quadratmeter oder 70 Quadratkilometer jährlich. Dabei ist die Erschließung durch Straßen, Stichstraßen und Kreisverkehre noch nicht eingepreist. Rechnen wir pro Einfamilienhaus 60 Quadratmeter für Erschließung hinzu, landen wir bei 78 Quadratkilometern. Das ist die Fläche des Chiemsees – immerhin Deutschlands drittgrößtem See. Nach sieben Jahren übertreffen wir die Fläche des Bodensees mit 536 Quadratkilometern. Das alles in einem Land, das seit 1990 konstant um die 80 Millionen Einwohner hat. Wir müssen uns als Republik durchaus fragen, ob wir es uns leisten können, jedes Jahr einmal die Fläche des Chiemsees für Einfamilienhäuser aufzugeben. Innerorts oder in einer dörflichen Struktur ist das Einfamilienhaus sicher unproblematisch. Wenn aber kleine Städte, die jahrhundertelang durch Außenbereiche getrennt waren, zusammenwachsen, wird es unübersichtlich: Die Siedlungsstruktur wird schwer zu lesen, ehemals wichtige Ortskerne werden Nebensache, Bürger fühlen sich keiner Gemeinde mehr verbunden. Das Städtchen wird Schlafkaff einer übergeordneten „Metropolregion“.

4. Natürlich werden Neubausiedlungen nicht auf Wasserflächen ausgelobt – sie stehen auf ehemaligen Wiesen und Äckern. Menschen meiner Generation sollten sich zumindest einmal vorstellen, welch mühselige Arbeit es für unsere Vorfahren war, eine Futterwiese anzulegen: Als die Römer nach Germanien kamen, war das Land überzogen von dunklen Wäldern. Der Wald ist etwas herrliches, wenn es aber darum geht, das Milchvieh zu sättigen, ist er ungeeignet. Wer also eine Futterwiese wollte, musste Wälder von Hand einschlagen: brauchbare Stämme wurden ins Sägewerk geschafft, der Rest wurde gerodet. Dann ging es daran, die verbleibenden Wurzelstöcke aus der Erde zu reißen. Dann musste man die Schlaglöcher auffüllen. Dann mussten die umherliegenden Steine geklaubt und das Unkraut gerupft werden. Das alles mit Muskelkraft, ohne Aggregat und ohne Handschuhe. Von nun an musste man die Wiese jedes Jahr niederhalten, sonst holt sich der Wald die Fläche zurück. Es ist unklar, wieviele Frauen und Männer sich dabei bucklig gerackert haben – nur allein um den Kindern eine „gemähte Wiese“ zu vererben. Wir sollten mit Sorgfalt darüber nachdenken, was wir mit diesen Flächen tun. Ich bin mir sicher, wenn wir heute den Wald einschlagen müssten, um Neubaugebiete zu schaffen, wäre das ein hochemotionaler Vorgang.

5. Nach dem Krieg hat sich unsere Landschaftsplanung amerikanisiert: Flurbereinigung, Gewerbeflächen entlang aller Highways, Motorisierung der Städte und Siedlungen etc. Dabei blieb unberücksichtigt, dass Deutschland bereits sieben mal dichter besiedelt ist als die USA. Wir können mit der Ressource Boden also nicht umgehen wie die Amerikaner. Wir können nicht weiter zersiedeln und sagen: „Hier ist der Yellowstone Nationalpark, wo die Grizzlies leben.“ Bayern als größtes Bundesland gemäß Fläche leistet sich zwei Nationalparks: Bayerischer Wald und Berchtesgaden. Weitere Nationalparks sind schwer möglich, weil in Bayern alle fünf Kilometer ein Dorf existiert: schlechte Karten für Luchs und Wisent. Wir haben nicht die Naturlandschaften wie amerikanische oder afrikanische Staaten. Wir haben nur unsere Kulturlandschaft aus Wiesen, Äckern und Weinbergen, die wir geerbt haben. Zur Idee konservativ zu sein gehört auch, diese Landschaften zu schützen.

Welchen Beitrag kann die Architektur dabei leisten? Nachdem wir 60 Jahre Zersiedelung erleben mussten, wird ihre wichtigste Aufgabe in der Wiederbelebung eines Städtebaus liegen. Städtebau, der zu angenehmen und menschenfreundlichen Dichten führt. Dünn besiedelte Flächen mögen zwar mehr Privatheit versprechen, sie führen aber auch zu einer Abnahme an Dienstleistungen. Das beginnt bei der Gastronomie und hört auf bei der medizinischen Versorgung.

Die Arbeit mit Verboten halte ich für problematisch, denn wir haben in unserer Republik ein Recht auf persönliches Glück. Zu diesem gehört für viele das genannte Eigenheim, das nicht notwendig ein Einfamilienhaus sein muss. Wenn aber beide Begriffe als gleichbedeutend eingesetzt werden, haben wir ein Problem mit architektonischer Aufklärung.

Quellen:

zu 1. https://www.zdf.de/nachrichten/heute/jede-zweite-rente-unter-900-euro-100.html

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155734/umfrage/wohneigentumsquoten-in-europa/

zu 2. „Baukulturbericht Stadt und Land 2016/17“ der Bundesstiftung Baukultur; S. 38.

Baukulturbericht 2016/17 (PDF) – Bundesstiftung Baukultur |www.bundesstiftung-baukultur.de › medien › downloads

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2018/PD18_49_p002.html

und https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_N014_122.html

zu 3. https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tagesgespraech/zweiter-februar-108.html

Zuerst veröffentlicht auf Facebook am 21.02.2021